Die Uckermark zwischen Wandel und Widerstand
In der Gemeinde Pinnow in der Uckermark eskaliert ein politischer Streit, der exemplarisch für die Herausforderungen des Strukturwandels im ländlichen Raum steht. Im Zentrum der Auseinandersetzung: ein ambitioniertes Gewerbe-Exposé des Vereins “Zukunft Unteres Odertal e.V.”, das rund 180 Hektar für ein nachhaltiges Industrie- und Gewerbegebiet vorsieht. Doch der Plan polarisiert: Während der Verein von regionaler Transformation spricht, wirft die politische Fraktion “Wir für Pinnow” dem Projekt mangelnde Legitimation und fehlende Substanz vor.
Vision oder Alleingang? Das umstrittene Gewerbe-Exposé
Das veröffentlichte Exposé zeichnet ein Bild von Pinnow als aufstrebendem Industriestandort im Rahmen eines “Innovationskorridors Nordost” – von Berlin über Schwedt bis Szczecin. Das Papier spricht von kommunal verfügbaren Flächen, Gleisanschlüssen, eigenständiger Energieversorgung durch Photovoltaik und Biogasanlagen sowie einer optimalen Verkehrsanbindung. Investitionen in Bildung, Inklusion und Start-up-Kultur sollen den Wandel stützen.
Pinnow wird in diesem Entwurf zum “Hotspot der Gewerbeentwicklung”. Möglich werden soll dies durch eine strategische Kombination regionaler, nationaler und europäischer Fördermittel. Der Verein, mit Sitz in Pinnow und geführt von Detlef Krause und Rafet Mustafic, sieht sich als zivilgesellschaftlicher Motor der Entwicklung.
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Scharfe Kritik der Fraktion “Wir für Pinnow”
Im August 2025 reagierte die Fraktion “Wir für Pinnow” mit einem scharfen Positionspapier. Ihre zentrale Kritik: Das Exposé sei weder politisch noch demokratisch legitimiert. Weder die Gemeindevertretung noch der Ortsbeirat hätten den Auftrag dazu erteilt. Auch inhaltlich wird das Papier zerpflückt: Es fehle an konkreten Zeitplänen, Verantwortlichkeiten und belastbaren Marktanalysen.
Zudem bemängeln die Kritiker, dass Vereinsmittel ohne Abstimmung verwendet wurden und die Bürger sich inhaltlich nicht abgeholt fühlen. Besonders kritisch wird gesehen, dass das Exposé suggeriere, Pinnow sei bereits zentrale Gewerbelandschaft der Region – eine Darstellung, die sowohl landschaftlich als auch demografisch als überhöht gilt.
Verwaltungsfrage: Schwedt oder Angermünde?
Parallel zum Exposé-Streit steht eine weitere wegweisende Entscheidung an: Die Gemeinde Pinnow prüft, ob sie künftig nicht mehr von Schwedt, sondern von Angermünde mitverwaltet werden soll. Hintergrund sind finanzielle Belastungen durch eine jährliche Mitverwaltungsgebühr von über 1,5 Millionen Euro sowie ein zunehmend belastetes Verhältnis zur Stadt Schwedt.
Im Juli 2025 kam es auf Einladung der Angermünder Bürgermeisterin Ute Ehrhardt zu einem Treffen zwischen Pinnower Bürgern und Angermünder Stadtverordneten. Das Ziel: ein faires Angebot für eine neue Mitverwaltung. Angermünde zeigt sich offen – man wolle eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Transparenz ermöglichen.
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Regionale Entwicklung mit Konfliktpotenzial
Der Fall Pinnow offenbart ein strukturelles Dilemma vieler ländlicher Regionen: Auf der einen Seite stehen ambitionierte Entwicklungsvisionen, getragen von engagierten Bürgern, Vereinen oder Verbänden. Auf der anderen Seite stehen demokratisch legitimierte Gremien, die auf Rechtssicherheit und politische Verantwortlichkeit pochen.
Die Debatte berührt zentrale Fragen:
- Wer hat die Deutungshoheit über die Zukunft einer Gemeinde?
- Wie wird legitimes Engagement von Selbstermächtigung unterschieden?
- Wie lassen sich wirtschaftlicher Strukturwandel und kommunale Demokratie miteinander versöhnen?
Die Zukunft von Pinnow bleibt offen
Ob das Gewerbegebiet bei Pinnow jemals Realität wird, ist derzeit ungewiss. Klar ist aber: Die Gemeinde steht an einem Scheideweg – wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Die Entscheidung über die zukünftige Verwaltungsstruktur könnte dabei ebenso richtungsweisend sein wie die Frage, wer in der Region künftig Entwicklung gestaltet: die Politik oder die Zivilgesellschaft?