Exposé als Einladung oder Alleingang?
In der Gemeinde Pinnow sorgt ein vom Verein Zukunft Unteres Odertal e.V. veröffentlichtes Exposé seit Wochen für Diskussionen. Während die Autoren das Papier als „Werbung für die Gemeinde“ verstehen, sehen die gewählten Vertreter der Kommune darin einen Alleingang ohne Mandat.
Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, Rafet Mustafic, betont im Gespräch, dass es sich bei dem Exposé keineswegs um eine verbindliche Planung handle, sondern vielmehr um eine Einladung an die Region: „Wir wollen Pinnow sichtbar machen und zeigen, welches Potenzial hier schlummert.“ Hintergrund sei auch die Belastung durch die jährlichen Kosten der Mitverwaltung, die Pinnow seit 2022 an die Stadt Schwedt zu zahlen hat – nach Angaben des Vereins rund 1,5 Millionen Euro.
Kritik an Mitverwaltung: „Was bekomme ich für mein Geld?“
Mustafic spart im Interview nicht mit Kritik. Aus seiner Sicht sei der Gegenwert der hohen Zahlungen kaum erkennbar. Seit dem Übergang der Verwaltungsaufgaben an Schwedt herrsche Stillstand: „Es stellt sich die Frage: Was bekommen wir für unser Geld? Entwicklung jedenfalls nicht.“
Konkrete Beispiele nennt er ebenfalls: Eine von ihm geplante Betriebserweiterung – durch den Erwerb alter Gebäude und zusätzlicher Flächen – sei durch die Verwaltungsstrukturen abgelehnt worden. Die Konsequenz: Der Unternehmer hat bereits mehrere Hektar Fläche und Gebäude im Ausland gekauft, um seinen Betrieb notfalls dorthin zu verlagern. Damit stünden in Pinnow rund 120 Arbeitsplätze auf der Kippe.
Verein als Vermittler der Unternehmer
Der Verein Zukunft Unteres Odertal sieht sich in der Rolle des Vermittlers und Wegbereiters. Viele ortsansässige Unternehmer sind dort engagiert, weil sie um ihre wirtschaftliche Zukunft und die Arbeitsplätze in der Region fürchten. Pinnow biete – so die Einschätzung der Mitglieder – mit seiner Lage, den verfügbaren Flächen und einem, wenn auch kaputtgesparten, aber existierenden Gleisanschluss die besten Voraussetzungen, um einen entscheidenden Beitrag zur Transformation der Region zu leisten. Darin sind sich die Unternehmer einig.
Gemeindevertretung kontert: Kein Mandat, kein Plan
Ganz anders sieht es die Gemeindevertretung Pinnow. In einer offiziellen Bewertung des Exposés stellt sie klar, dass das Papier „ohne Mandat oder Einbindung der gewählten Gemeindevertretung“ erstellt wurde. Von einer demokratischen Grundlage könne keine Rede sein.
Inhaltlich wird das Dokument als ambitioniert, aber unausgereift kritisiert. Finanzierungspläne, konkrete Zeitachsen oder abgestimmte Verwaltungsverfahren fehlten. Auch eine realistische Einordnung in die Regionalplanung sei nicht erkennbar. Stattdessen stilisiere das Exposé Pinnow zum „Gewerbemotor der Region“, ohne Rücksicht auf örtliche Grenzen oder landschaftliche Schutzgüter.
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Offener Brief: Verteidigung der Zusammenarbeit mit Schwedt
Noch deutlicher wird die Gemeindevertretung in einem offenen Brief. Dort wird dem Verein vorgeworfen, ohne Legitimation als Sprachrohr der Gemeinde aufzutreten. Auch die angeblich zu hohen Verwaltungskosten weist man zurück: Die 1,5 Millionen Euro seien nicht überzogen, sondern deckten notwendige Leistungen wie Schule, Kita und Verwaltung ab – Kosten, die auch bei einer Mitverwaltung durch Angermünde anfallen würden.
Zudem betonen die Abgeordneten, dass es keine Krise in der Zusammenarbeit mit Schwedt gebe. Im Gegenteil: Man arbeite konstruktiv zusammen, insbesondere im Hinblick auf eine laufende Machbarkeitsstudie für die Gewerbeentwicklung.
Kern des Konflikts: Geld oder Legitimation?
Im Kern geht es also um zwei unterschiedliche Perspektiven:
- Der Verein sieht in der aktuellen Mitverwaltung ein teures Hemmnis für Entwicklung, das Unternehmen wie Mustafic in ihrer Expansion bremst und sogar Arbeitsplätze gefährden könnte. Das Exposé soll hier als Impuls und Signal dienen.
- Die Gemeindevertretung pocht auf ihre demokratische Rolle, warnt vor überzogenen Versprechungen und verteidigt die Ausgaben für die Mitverwaltung als notwendige Pflicht.
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Mehr als ein lokaler Streit
Der Fall Pinnow zeigt exemplarisch, wie schwierig der Balanceakt zwischen Bürgerengagement und demokratischer Legitimation sein kann. Während Unternehmer auf schnelle Lösungen und Entwicklung drängen, verlangen die Gremien rechtsstaatliche Verfahren und realistische Konzepte.
Die Auseinandersetzung wirft zudem eine grundsätzliche Frage auf: Kann eine Gemeinde, die jährlich Millionen für Verwaltung zahlt, aber selbst kaum Einfluss auf diese Strukturen hat, dauerhaft funktionsfähig bleiben? Und welche Rolle spielt dabei das Spannungsfeld zwischen Schwedt, Angermünde und den Ministerien in Potsdam?
Klar ist: Ohne eine Verständigung zwischen Verein, Gemeindevertretung und Verwaltung droht Pinnow nicht nur politischen Stillstand – sondern auch der Verlust wertvoller Arbeitsplätze.
Unternehmer als Chance für die Kommune
Braucht es ein Mandat, um sich als Unternehmer stark für die Wirtschaft und die Gemeinde, in der man lebt, zu machen? Wohl kaum. Gerade in Anbetracht der kränkelnden Haushalte wäre wohl so manche Kommune froh, wenn es Unternehmer gäbe, die eigentlich kommunale Aufgaben – wie die Werbung für ihre Gemeinde und Gewerbeflächen – übernehmen und sogar die Kosten dafür tragen. Nicht ohne Grund hat die Fraktion Liste für Pinnow den Verein angefragt, sie in diesen Punkten zu beraten.