Ein Sonderfall im Land Brandenburg
Die Gemeinde Pinnow wird seit dem 19. April 2022 vollständig von der Stadt Schwedt/Oder mitverwaltet – ohne amtsrechtliche Einbindung und ohne eigene hauptamtliche Verwaltung. Diese Konstellation ist laut Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 546 der Abgeordneten Benjamin Filter und Norbert Rescher (AfD-Fraktion) einmalig im Land Brandenburg (Landtagsdrucksache 8/1468, 07.08.2025).
Pinnow verfügt zwar über eine gewählte Gemeindevertretung und einen ehrenamtlichen Bürgermeister, doch nahezu alle Verwaltungsaufgaben – vom Melde- und Standesamt über Ordnungsangelegenheiten bis hin zum Brandschutz – werden vollständig durch Schwedt übernommen.
Rechtlich auf Dauer angelegt – politisch umstritten
Während die Mitverwaltung von Pinnow durch Schwedt ursprünglich als befristete Übergangslösung verstanden wurde, stellt die Landesregierung nun klar: Nach dem Verbandsgemeinde- und Mitverwaltungsgesetz ist dieses Modell rechtlich auf Dauer angelegt und steht gleichberechtigt neben anderen Verwaltungsformen. Kritiker sehen darin jedoch ein erhebliches demokratisches Defizit. Die Hauptverwaltungsbeamtenfunktion wird nicht durch die Pinnower Bürgerschaft legitimiert – die Schwedter Rathausspitze wird ohne Mitwirkung der Pinnower Wählerinnen und Wähler bestimmt. Zwar verbleiben Selbstverwaltungsaufgaben formal bei der Gemeindevertretung, doch sämtliche Auftragsangelegenheiten liegen vollständig bei Schwedt.
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Vom Provisorium zur Dauerlösung
Die Mitverwaltung war zunächst als befristete Übergangslösung gedacht, nachdem das Amt Oder-Welse aufgelöst und drei Mitgliedsgemeinden nach Schwedt eingegliedert wurden. Eine ursprünglich geplante Zuordnung Pinnows zum Amt Gramzow scheiterte am Widerstand vor Ort. Auch Gespräche mit Angermünde als Verwaltungs-Partner wurden durch ein erfolgreiches Bürgerbegehren im Jahr 2020 gestoppt.
Für die Gemeinde bedeutet dies heute: Sie zahlt jährlich rund 1,5 Millionen Euro an Schwedt für die Mitverwaltungsleistungen – hat jedoch in dieser Verwaltungskonstruktion keinerlei direkte demokratische Mitwirkungsrechte in Bezug auf die Verwaltungsstruktur.
Neue Gespräche mit Angermünde
Im Sommer 2025 kam wieder Bewegung in die Debatte: Vertreter der Gemeinde Pinnow und des Vereins Zukunft Unteres Odertal e. V. trafen sich mit der Bürgermeisterin von Angermünde, um die Möglichkeit einer Mitverwaltung neu auszuloten. Ziel ist ein partnerschaftlicheres Modell, das Transparenz schafft und die finanzielle Belastung durch die Mitverwaltungsgebühr von über 1,5 Millionen Euro pro Jahr senkt.
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Politische Aktivitäten in Potsdam
Aus dem Umfeld des Landtages ist zu hören, dass es in den vergangenen Monaten vermehrt Gespräche zwischen der Schwedter Stadtspitze, Lokalpolitikern und Ministerien in Potsdam gegeben hat. Nach Einschätzung verschiedener politischer Beobachter könnten dabei auch Fragen zur künftigen Verwaltungszuordnung Pinnows eine Rolle spielen. Offizielle Bestätigungen dazu gibt es nicht; das Innenministerium verweist auf die bestehende Rechtslage, wonach Veränderungen der Verwaltungsstruktur ausschließlich auf Initiative der betroffenen Gemeinde möglich sind (§ 6 Abs. 3 BbgKVerf).
Weichenstellung für die kommunale Selbstverwaltung
Die Antwort auf die Kleine Anfrage macht deutlich: Pinnow steht vor einer Grundsatzentscheidung. Bleibt es bei der Mitverwaltung durch Schwedt, kommt es zu einem Wechsel nach Angermünde oder erfolgt eine Eingemeindung? Der Fall hat überregionale Bedeutung, weil er zeigt, wie sich kommunale Selbstverwaltung, politische Interessen und landesrechtliche Rahmenbedingungen in Brandenburg verzahnen.