Ein Standort im Umbruch
Der Industriestandort Schwedt steht seit Jahren im Zentrum politischer und wirtschaftlicher Diskussionen. Mit der PCK-Raffinerie, die aufgrund des Öl-Embargos gegen Russland massiv unter Druck geraten ist, hängt ein ganzer Landstrich am Tropf der Energie- und Industriepolitik. Verbio und Nippon Gases Deutschland kooperieren bei der nachhaltigen Weiterverwertung von biogenem CO2. Am Standort Zörbig hat Nippon Gases gerade ein Werk in Betrieb genommen, in dem CO2 aus dem Bioethanolprozess von Verbio zur Nutzung in der Lebensmittelindustrie aufbereitet wird.
Offiziell wird das Projekt als Meilenstein für Nachhaltigkeit verkauft – doch in Schwedt geht es um mehr als Klimaschutz. Es geht ums Überleben.
Die Kooperation im Detail
Bei der Produktion von Biomethan aus Stroh und anderen nachwachsenden Rohstoffen fällt bei Verbio unvermeidlich biogenes Kohlendioxid an. Dieses wird künftig von Nippon Gases aufgefangen und nach Schwedt transportiert. Dort entsteht in einer neuen Anlage ein veredeltes Produkt: hochreines, verflüssigtes CO₂, das etwa in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie oder in der Chemie benötigt wird.
Die Unternehmen sprechen von einem „wichtigen Schritt für Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz“. Doch der Blick nach Schwedt macht klar: Für die Region ist es auch ein Versuch, Vertrauen in die Zukunft des Standortes zurückzugewinnen.
Schwedt zwischen Hoffnung und Absturz
Schwedt ist seit Jahrzehnten geprägt von Schwerindustrie. Mit der PCK-Raffinerie, den Papierwerken und der Energieproduktion war die Stadt ein Symbol für ostdeutsche Industrie. Doch seit den geopolitischen Verwerfungen 2022 steht die Stadt sinnbildlich für die Verwundbarkeit einer ganzen Region. Tausende Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt an den dortigen Anlagen.
Die Frage lautet: Kann die Industrie in Schwedt mit innovativen Projekten wie dem von Verbio und Nippon Gases langfristig bestehen, oder ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
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Politische Dimension des Projekts
Es ist kein Geheimnis, dass die Landes- und Bundesregierung verzweifelt nach Erfolgsmeldungen aus Schwedt suchen. Während Milliardenhilfen für Strukturwandel und Transformation angekündigt wurden, blieb die Umsetzung schleppend. Umso wichtiger ist jede positive Nachricht, die signalisiert: „Schwedt hat eine Zukunft.“
Doch genau hier liegt das Problem. Kritiker werfen der Politik vor, sich mit Einzelprojekten wie diesem zu schmücken, während die großen Probleme – Energiesicherheit, Versorgung mit Rohstoffen, langfristige Perspektiven für die PCK – ungelöst bleiben.
Ökonomische Realität
So sinnvoll die Nutzung von biogenem CO₂ sein mag: Sie schafft keine hunderten neuer Arbeitsplätze, sie sichert keine Raffinerie-Kapazitäten und sie ersetzt auch nicht die bislang fehlende klare Linie in der Energiepolitik. Für Schwedt ist die Kooperation eher ein Signalprojekt – wichtig für das Image, aber in der Substanz begrenzt.
Genau hier drängt sich die Frage auf: Wird Schwedt mit solchen Initiativen tatsächlich wieder zu einem starken Industriestandort, oder sind es eher symbolische Projekte, die die strukturellen Probleme nur überdecken?
Die Last der Vergangenheit
Die Region Uckermark hat seit der Wende viele Strukturwandel-Programme erlebt. Oft blieben große Versprechen, aber wenig Nachhaltigkeit. Schwedt leidet bis heute unter Abwanderung, Arbeitslosigkeit und einer schwachen wirtschaftlichen Diversifizierung. Die PCK war bislang der Garant für Stabilität – doch nun bröckelt auch dieses Fundament.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass viele Bürger die neue Kooperation skeptisch betrachten. Die Schlagzeilen klingen positiv, doch die Menschen fragen sich: „Reicht das wirklich aus, um unsere Zukunft zu sichern?“
Symbol für Aufbruch oder letzte Karte?
Verbio und Nippon Gases präsentieren ihre Partnerschaft als Innovationssprung. Faktisch bleibt es ein technischer Schritt innerhalb eines klar begrenzten Rahmens. Für den Standort Schwedt ist es dennoch wichtig, weil es zeigt: Industrie will weiterhin hier investieren.
Aber: Wenn die großen Fragen ungelöst bleiben – wie die Zukunft der PCK-Raffinerie, die Energieversorgungssicherheit und die Anbindung an internationale Märkte – dann bleibt selbst das beste Innovationsprojekt nur ein Symbol.