Jesiden Lychen: Ein Ort, eine Familie, ein Bruch des Vertrauens
Lychen, Uckermark. Eine Familie mit vier minderjährigen Kindern lebte hier mehrere Jahre, ging zur Schule, war Teil des Vereins- und Nachbarschaftslebens. Am 22. Juli 2025 endet dieses Leben abrupt: Die Brandenburger Behörden schieben die Familie in den Irak ab. Am selben Tag hebt das Verwaltungsgericht Potsdam per Eilantrag die Ausreisepflicht auf – doch der Abschiebeflug läuft da bereits. Das Ergebnis: ein Rechtskonflikt, der schneller vollzogen wurde, als er korrigiert werden konnte.
Eine Woche später, am 29. Juli, weist das Verwaltungsgericht die Klage gegen die Asylablehnung von 2023 ab – das Gericht sieht keine relevante Gefährdung im Irak. Damit wird eine Rückholung unwahrscheinlich. Am 7./8. August folgt die nächste Nachricht: „Keine Rückkehr“ – die Familie bleibt im Irak. Für die Kinder in Lychen, die 35.000 Unterschriften für die Rückholung gesammelt haben, ist es ein Schlag ins Gesicht.
Brandenburg Abschiebungen: Aktionismus – aber für wen?
Die Fakten zeigen: Brandenburg kann handeln – und zwar schnell.
- Im ersten Halbjahr 2025 wurden in Deutschland 11.807 Menschen abgeschoben, deutlich mehr als im Vorjahr.
- Brandenburg führte 2024 233 Abschiebungen und 36 Dublin-Überstellungen durch, insgesamt 955 Ausreisen ohne Bleibeperspektive – ein Plus von rund 20 % gegenüber dem Vorjahr.
- Laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2023 beträgt der Anteil nicht deutscher Tatverdächtiger 41,1 %, realistisch.
Wenn also binnen Stunden eine integrierte, arbeitswillige Familie abgeschoben werden kann, warum gelingt derselbe Aktionismus nicht bei männlichen, integrationsunwilligen und straffälligen Migranten – jenen, die nachweislich die Sozialsysteme und die Justiz überproportional belasten? Hier scheint der politische Wille, konsequent zu handeln, auffallend schwach ausgeprägt.
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Politischer Widerspruch: Versprechen am Mikrofon, Vollzug auf dem Rollfeld
Innenminister René Wilke kündigte zunächst an, eine Rückholung zu prüfen, falls das Gericht zugunsten der Familie entscheide. Eine politische Garantie war das nie, eher eine Absicherung für die Kameras. Nach dem abschlägigen Urteil am 29. Juli 2025 stehen die Signale klar auf „bleibt draußen“. Die ZEIT fasst es trocken zusammen: Eine Rückholung sei „somit unwahrscheinlich“.
Dass der Eilantrag am Tag der Abschiebung Erfolg hatte, der Vollzug aber schneller war als der Rechtsschutz, ist mehr als ein Verwaltungsdetail: Es ist ein politisches Signal. Der Staat kann, wenn er will – und er kann auch sehr schnell. Die formale Zuständigkeit (BAMF fürs Asyl, Länder für den Vollzug) ändert nichts am Eindruck, dass Brandenburgs Spitze sich hinter Verfahren versteckt, solange es sich gut anhört – und handelt, wenn keiner mehr hinschaut.
Landesaufnahmeprogramm Brandenburg Jesiden: Der lange Weg von 2014 bis 2019
Der Landtag beschloss bereits im Dezember 2016 einstimmig die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Jesiden. Umgesetzt wurde das jedoch erst mit deutlicher Verzögerung: 2019 vermeldete die Staatskanzlei erstmals nennenswerte Fortschritte – 26 Visa erteilt, 14 weitere Verfahren im Gang. Dazwischen lagen zwei bis drei Jahre Stillstand. Andere Länder wie Baden-Württemberg handelten schneller und nahmen weit mehr Menschen auf.
Der IS-Völkermord an den Jesiden ist seit 2014 dokumentiert. Die Gefährdung im Irak besteht teilweise bis heute fort – auch nach dem militärischen Sieg über den IS. Umso irritierender wirkt es, wenn Gerichte 2025 im Einzelfall keine Gefahr erkennen.
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Integrationspolitik Brandenburg: Lippenbekenntnisse statt Schutz
Brandenburg schwankte jahrelang zwischen „Wir helfen“ und „Wir prüfen“. 2017 erklärte die Staatskanzlei, man unterstütze – der Beschluss blieb dennoch liegen. 2019 folgte die Erfolgsmeldung über Visa. 2025, im Fall Lychen, dominieren wieder Zuständigkeitsverweise und Prüfbitten – am Ende stehen Gerichtsbeschlüsse, die die politische Verantwortung aus dem Bild schieben. Es wirkt, als feiere man humanitäre Hilfe gern in Pressemitteilungen, setze sie im Alltag aber auf die lange Bank.
Besonders scharf stellt sich die Frage: Was wiegt schwerer – die Integration einer Familie, die in Lychen fest verwurzelt war, oder die formale Ausreisepflicht, die sogar trotz laufendem Eilrechtsschutz vollzogen wird? Wer Integration fordert, muss Integration auch schützen.
Humanitäres Aufenthaltsrecht Jesiden: Recht ist nicht gleich Gerecht
Der Fall Lychen fällt in eine Zeit, in der der Bundestag über ein gesichertes Aufenthaltsrecht für Überlebende des Jesiden-Genozids berät. Brandenburg hätte allen Grund, hier politisch voranzugehen – statt sich hinter Paragraphen zu verstecken. Humanität zeigt sich nicht im „Wir würden ja, aber…“, sondern im „Wir tun, weil…“.
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Fachkräftemangel Brandenburg: Was bleibt – und die offene Frage
Zurück bleiben ein leerer Platz in der Schulklasse in Lychen, Aktenvermerke über einen Eilantrag, der zu spät kam, und eine politische Erzählung, die beim ersten Gegenwind zur Verwaltungsvorschrift schrumpft. Die Frage, ob viele Aussagen der Brandenburger Politik nur Lippenbekenntnisse sind, beantwortet sich im Alltag der Betroffenen: Wer Schutz verspricht, aber im entscheidenden Moment abschiebt, entscheidet gegen Menschen, die sich integrieren wollen – und es längst tun.
Und damit stellt sich zwangsläufig die nächste Frage: Kann sich ein Bundesland, das seit Jahren mit Entvölkerung kämpft, dem motivierte und arbeitswillige Fachkräfte fehlen – und das von einer linken Landesregierung geführt wird – überhaupt leisten, derart integrierte Familien abzuschieben? Oder untergräbt es damit nicht genau das, was es offiziell als Zukunftsaufgabe ausruft: Zuwanderung, Fachkräftesicherung, lebendige ländliche Räume?