„Zusammenhalt auf Bestellung?“ – Kritik an der ARD-ZDF-Deutschlandradio-Studie

Besonders deutlich: Nur 44 % finden, dass der ÖRR genügend Dialogangebote bietet.
Die neue Zusammenhaltsstudie von ARD, ZDF und Deutschlandradio bescheinigt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk große Wirkung. Doch Auftrag, Methode und Eigeninteresse lassen Zweifel aufkommen, ob hier wissenschaftliche Forschung oder Imagepflege betrieben wird.

Wer fragt – und wozu?

Die Studie wurde von ARD, ZDF und Deutschlandradio selbst beauftragt. Durchgeführt wurde sie von einem privaten Forschungsinstitut, beraten von HBI und FGZ. Damit prüft der ÖRR – zumindest indirekt – seine eigene Arbeit.
Das ist rechtlich zulässig. Aber: Die Studienergebnisse dienen vor allem dem Nachweis, dass die Sender ihren gesetzlichen Auftrag (§ 26 Medienstaatsvertrag) erfüllen. Genau deshalb ist kritische Distanz besonders wichtig.

Methode: „Repräsentativ“ mit offenen Fragen

1.351 Personen wurden im Frühjahr 2025 befragt. Es heißt: „repräsentativ“. Doch zentrale Details fehlen:

  • Wie wurden die Befragten ausgewählt?
  • Gab es Gewichtungen oder Quoten?
  • Welche Fragen wurden genau gestellt?

Ohne diese Angaben bleibt offen, wie belastbar die Ergebnisse wirklich sind.

Ergebnisse: Wahrnehmung statt Wirkung

Die Studie fragt nach Meinungen – nicht nach überprüfbaren Fakten.
Beispiel: 53 % der Befragten meinen, der ÖRR leiste einen hohen Beitrag zum Zusammenhalt. Doch ob das tatsächlich so ist, wird nicht gemessen. Wahrnehmung ist nicht gleich Wirkung.

Auch die hohe Reichweite von ARD und ZDF wird als Beleg angeführt. Doch: Viele Menschen zu erreichen bedeutet noch nicht, dass damit automatisch gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht.

Reichweite als Wirkungsargument? Verwechslung von Zugang und Wirkung

Die Kurzfassung betont Reichweite (94 %) und einen hohen Anteil Stammpublikum (67 %) über TV/Radio/Mediatheken (ohne Social-Media-Kanäle). Reichweite ist unbestritten ein notwendiger, aber kein hinreichender Wirkungsindikator. Ob aus Reichweite Zusammenhalt folgt, bleibt hypothetisch, solange Wirkung nicht über objektive Indikatoren (z. B. deliberative Qualität, Perspektivenvielfalt in Inhaltsanalysen, Veränderung von Wissensindikatoren) gezeigt wird. ard-zdf-deutschlandradio-zusammenhaltsstudie.de

Problematisch ist zudem die normative Begründung von Unterhaltung: Die Kurzfassung argumentiert, dass fast die Hälfte die Angebote „unter dieser Voraussetzung [Verzicht auf Unterhaltung] vermutlich nicht mehr“ nutzen würde. Das mag empirisch so sein, ersetzt aber nicht die normative Prüfung, welche Unterhaltungsanteile vom gesetzlichen Auftrag gedeckt sind. Der Maßstab hierfür ist § 26 MStV – nicht die Nutzungsbereitschaft.

„Dialog“ als Schwachstelle – und als Auftragspflicht

Die Dialogdimension fällt in der Wahrnehmung am schwächsten aus: Nur 44 % sehen hinreichende Dialogangebote, 47 % erkennen positive Konfliktlösungsbeispiele. Für einen Auftrag, der den gesellschaftlichen Diskurs fördern soll, ist das ein relevanter Befund. Gerade konservative Öffentlichkeitstheorie betont Plurale Repräsentation, Widerspruch und faire Kontroverse – nicht nur Synchronisierung auf Großereignisse. Wenn Dialogangebote vom Publikum kaum wahrgenommen werden, ist das ein Auftrags-Gap, nicht bloß ein „Kommunikationsproblem“.

Was in einer belastbaren Wirkungsstudie fehlte – konservative Mindeststandards

Transparenz & Replikation: Vollständiges Methoden-Appendix (Sampling-Frame, Rekrutierung, Gewichtung, Non-Response, genaue Items, Reliabilitäten, Pretest), offene Datensätze (de-identifiziert), pre-registriertes Design. In der Kurzfassung fehlt das. ard-zdf-deutschlandradio-zusammenhaltsstudie.de

Objektive Inhaltsanalyse: Systematische Codierung von Nachrichten-, Magazin- und Talkformaten (Quellenvielfalt, Minderheiten-/Mehrheitspositionen, Gegenstimmen, Kontroversitätsgrade). Keine solche Evidenz wird berichtet. ard-zdf-deutschlandradio-zusammenhaltsstudie.de

Wirkungsnachweise jenseits von Selbstauskunft: Panel-Designs, natural experiments, regionale Variation der Nutzung, externe Wissens-/Toleranz-Indikatoren – um Kausalität nicht mit Korrelation zu verwechseln. In der Kurzfassung: nicht vorhanden. ard-zdf-deutschlandradio-zusammenhaltsstudie.de

Konflikt- und Dialogmetriken: Messung von Widerspruchsmanagement (Gegenrede, argumentative Fairness), nicht nur von Konsensgefühlen. Die Studie selbst benennt Dialog-Defizite – ein Ansatzpunkt für harte Auftragskontrolle.

Unterhaltung als Auftrag?

Fast die Hälfte der Befragten sagt, sie würden ARD und ZDF nicht mehr nutzen, wenn es dort keine Unterhaltung gäbe. Das mag stimmen. Doch ob jede Unterhaltungsform vom gesetzlichen Auftrag gedeckt ist, ist eine ganz andere Frage. Hier gilt allein der Medienstaatsvertrag – nicht die Beliebtheit beim Publikum.